Tagung
1. bis 3. November 2018 in der Europäischen Akademie in Berlin.
Gemeinschaftsveranstaltung der Südosteuropa-Gesellschaft, des Schroubek Fonds östliches Europa, der Europäischen Akademie und des Balkanologenverbandes.
Wiederholungen sind in nahezu allen Bereichen des menschlichen Lebens unverzichtbar. In seiner Überwindung der Einmaligkeit schafft das Wiederholte Ordnung und Stabilität, verleiht dem Menschen Halt und Orientierung. Bezogen auf die Gemeinschaft entwickeln Wiederholungen normbildende und normverändernde Kräfte; sie dienen zugleich der Selbstvergewisserung der Gruppe und des Einzelnen in ihr. Insbesondere Wiederholungen in Form von Riten und rituellen Handlungen, denen ein hoher Symbolcharakter zu eigen ist, verleihen den Mitgliedern einer Gemeinschaft, deren Angehörige die gleiche Sprache und die gleichen Wertmaßstäbe teilen, Sicherheit. Sie dienen somit zum einen der sozialen Bindung, können zum anderen aber auch die relative soziale Stellung des Einzelnen in der Gruppe deutlich werden lassen.
Unsere Aufmerksamkeit richtet sich auf jene, seit dem Zweiten Weltkrieg wirksamen normbildenden und normverändernden Prozesse von Wiederholungen in den südosteuropäischen Gesellschaften, die in Form von Neu-Konstruktionen von erlebter Wirklichkeit bzw. als Reinterpretationen oder als Neubelebung von Verschüttetem in Erscheinung treten – in Anlehnung an die Anschauung von Kierkegaard, nach welcher die ‚Wieder-holung‘ eine „Erinnerung in vorwärtiger Richtung“ darstellt bzw. ein schöpferisches Moment in sich birgt. Unsere Fragestellung ist auf entsprechende Erscheinungen in den Sprachen, Literaturen (Hoch- und Volksliteraturen), in der Folklore, im sozialen Zusammenleben und im Brauchtum fokussiert.
In den Sprachen werden sie unter anderem in Form von Neuprägungen von Begriffen durch Übernahmen von Internationalismen für semantisch analoge eigene Lexeme, in der Neubelebung älterer Sprachschichten (etwa im Bosnischen) oder eines älteren Standards, etwa in dem Versuch, das glagolitische Alphabet in Kroatien wiedereinzuführen, wahrnehmbar.
In den Hochliteraturen wirken sie sich unter anderem in dekonstruktivistischen, post-kosmopolitischen oder neo-folkloristischen Ansätzen stilbildend bzw. stilverändernd aus. In den Volksliteraturen machen sie sich in neuen, u.a. multimedialen Formen des Erzählens bemerkbar; im medial-folkloristischen Bereich bedienen sich ihrer u.a. die zahlreichen Fernsehsender, die rund um die Uhr traditionelle, populär anverwandelte Volksmusik ausstrahlen. In kollektiven, politischen Ritualen haben rezente politische und staatsrechtliche Veränderungen, auch bezogen auf die Mitgliedschaft bzw. die Hoffnung auf baldige Mitgliedschaft in der Europäischen Union, einen vielfachen „ritual change“ in der formalen Gestaltung und/oder semantischen Aufladung von Nationalfeiertagen mit sich gebracht. Die Globalisierung führt indessen auch im Brauchtum und in Riten im herkömmlichen Sinne zu neuen Strömungen wie sie sich etwa in Uminterpretationen älterer lokaler ritueller Elemente, in ihrer Vermischung mit dem Halloween-Brauchtum oder in der Wiederbelebung älterer Kleidungsgewohnheiten, etwa im Kontext religiöser Rückbesinnung muslimischer Bošnjaken, manifestieren.
Wie aus dieser kurzen Zusammenstellung ersichtlich wird, kennzeichnet das Vorhaben ein hohes Maß an Interdisziplinarität, wobei versucht werden soll, gemeinsame Handlungsmuster herauszuarbeiten.
Bericht:
Himstedt-Vaid, Petra; Salamurović, Aleksandra: Von der Wiederholung zum Ritual. Südosteuropa-Mitteilungen 2019, 1. 88–96.
Bilder: Petra Himstedt-Vaid, Corinna Leschber