Nomen est omen. Die Bedeutung von Namen in südosteuropäischen Kulturen

Tagung

28. bis 30. Oktober 2021 in der Europäischen Akademie in Berlin.

Gemeinschaftsveranstaltung der Südosteuropa-Gesellschaft, des Schroubek Fonds östliches Europa, der Europäischen Akademie und des Balkanologenverbandes.


Namen stellen einen Zugriffsindex auf eine Informationsmenge dar und dienen der Identifizierung und Individualisierung. Sie heben hervor, was Menschen an Personen, Sachen und Erscheinungen in der natürlichen und sozialen Umwelt wesentlich erscheint. Sie werfen damit ein bezeichnendes Licht auf die geistig-kulturelle und ökonomische Disponiertheit einer menschlichen Gemeinschaft.

In der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Namen interessiert uns jene Richtung, die sich über die Denotation hinaus der Konnotation und den Narrativen von Namen widmet. Daraus ergeben sich u.a. folgende Frage­stellungen: Welches sind die Benennungsmotive von Namen in Südosteu­ropa in geographischen, politischen, sozioökonomischen und künstleri­schen Räumen synchron und diachron; durch welche Einstellungen und Absichten sind sie zu erklären? Unter welchen Rahmenbedingungen finden sie auf welche Weise Verwendung und werden aufrechterhalten, ausge­tauscht oder aufgegeben?

Aus dem weiten Feld, das diese Fragestellungen eröffnen, sind in der fol­genden Aufstellung einige, für Südosteuropa relevante Beitragsthemen stichwortartig aufgeführt:

Benennung und Verwendung, Wandel und Beharren von Namen

A. aus geographischer Sicht:
a) Toponyme als Mittel der Raumstrukturierung: z.B. Donaudelta;
b) Exonyme als Indikatoren grenzüberschreitender Raumbeziehungen: z.B. Visegrad-Staaten; Donauraum; Donau-Netzwerk;

B. aus historischer Sicht:
a) Herrschafts- und Staatsnamen in ihrem historischen Wandel: z.B. Österreich-Ungarn; Ungarisches Königreich; Königreich Jugoslawien – 1., 2. Jugoslawien – Post-Jugoslawische Staaten usw.;
b) Selbstbezeichnung versus Fremdbezeichnung von Ethnien: z.B. Al­baner vs. Shqiptar; Ungar vs. Magyar usw.;
c) Historische Namen und Anspruch auf Autochthonität – z.B. die Al­baner als Nachfahren der Illyrer, die Relationen Daker-Römer-Rumä­nen vs. Walachen, Moldauer usw.;

C. aus politisch-sozialer sowie geographischer Sicht:
a) Benennungen und Umbenennungen: z.B. Balkan – Südosteuropa; Mitteleuropa – Ostmitteleuropa – Osteuropa; Westbalkan; Ostbalkan;
b) Machtumbruch und Umbenennungen: z.B. von Podgorica zu Tito­grad und erneut zu Podgorica oder Braşov zu Oraşul Stalin und erneut zu Braşov; Wechsel von Straßennamen und Reaktionen darauf: Lenji­nov bulevar zu Bulevar Mihaila Pupina; Proleterskih brigada zu Krunska in Belgrad; Bulevardul Copou zu Bulevardul Carol I in Iaşi; die Hauptstraße von Chişinău hieß nacheinander Moskovskaja, Aleksan­drovskaja (1877-1924), Alexander cel Bun, Lenin-Prospekt und heute Bulevardul Ştefan cel Mare şi Sfânt;
c) Erzwungene Änderungen von Anthroponymen wie etwa bei der Ma­gyarisierung rumänischer Namen in Siebenbürgen nach dem österrei­chisch-ungarischen Ausgleich von 1867 oder die Bulgarisierung türki­scher Namen in der Spätphase des bulgarischen Sozialismus. Freiwilli­ge Moden und unfreiwillige Zwänge in der Namensgebung von Kin­dern (z. B. Stalinka, Chavdar; Übernahme „westlicher“ Namen und der Namen von Popstars). Viele Träger von „kommunistischen“ Namen ha­ben sich nach der Wende umbenannt bzw. umbenennen müssen;
d) Toponyme und raum- oder kulturbezogene Identität: z.B. Banater Schwabe – Banater – Rumäne; Donauschwaben; Nordmakedonien – Makedonien; Serbe = Orthodoxie vs. Kroate = Katholizität;
e) Deck- und Tarnnamen zur Verschleierung der Identität: Dies reicht von Namen, die sich Untergrundkämpfer gaben (Beispiel: Tito) bis zu Deckna­men konspirativer Mitarbeiter (IM Marin, IM Mircea Moga usw.);
f) City und regional branding durch Namen: Die werbliche Profilschär­fung von Städten und Regionen ist heute ein verbreitetes Mittel der Stadt- und Regionalentwicklung, vor allem um Investoren und Touris­ten anzuziehen, z.B. Draculaland;
g) Namen in Konfliktfeldern: z.B. Sprachnomination in den postjugo­slawischen Ländern; der Name Makedoniens; die Bezeichnung der Sprache in der Republik Moldau in sowjetischer Zeit und danach;
h) Namen als Stigma: z.B. Zigeuner; Balkanese.

D. Namen und ihre Bedeutung in Mythen, Sagen und Legenden usw.
a) Namengebung von Kirchen-, Kalenderheiligen sowie Familien-Schutzheiligen, z.B. „Heiliger Georg“, „Heiliger Nikolaus“, „Heiliger Sava“ usw.;
b) Mythen, Sagen, Legenden und Märchen, die sich um Namen ranken, z.B. Nasreddin Hodscha, der Schlaue Peter usw. Namenszauber z.B. in den Namen der Wochentage; Namengebung nach den Kalenderheili­gen; Mythologische Namen: z.B. Aphrodite, die Schaumgeborene; Klo­tho, Lachesis und Athropos und die Schicksalsfrauen; der Heilige Elias, der die Blitze sendet;

E. Name als Programm – in Kontexten wie „Modernisierung“, „Europäisie­rung“;

F. Eigenname und Literarizität; Beispiel: Wenn eine Romanfigur den Vor­namen des Vaters, der Mutter oder anderer Vorfahren trägt. Hier signali­siert der Schriftsteller Traditionsbewusstsein. Durch den Einsatz von Spitz­namen und Kosenamen einerseits und förmlicher Anreden andererseits werden in der Literatur unterschiedliche Vertrauensverhältnisse zwischen den Figuren herausgestellt.

Bericht:

Himstedt-Vaid, Petra; Jusufi, Lumnije: Nomen est omen. Die Bedeutung von Namen in südosteuropäi­schen Kulturen“, Berlin, 28.–30. Oktober 2021. Interdisziplinä­res Symposium des Balkanologenverbands, der Europäischen Akademie Berlin, des Schroubek-Fonds Östliches Europa und der Südosteuropa-Gesellschaft. Südosteu­ropa-Mitteilungen 2021. In Druck.

Bilder: Christoph Giesel